Luftkrieg: "Der Untergang Dresdens"
David Irving und die Luftangriffe auf Dresden
Das erstmals 1963 erschienene Buch Der Untergang Dresdens ist eines der bekanntesten Werke über die Zerstörung der Stadt durch alliierte Luftangriffe im Frühjahr 1945. 1995 gab David Irving unter dem Titel APOCALYPSE 1945 The Destruction of Dresden eine Neuauflage heraus, um - wie es im Vorwort heißt - die 1963 erschienene Arbeit auf der Grundlage der neuen Informationen zu berichtigen und zu ergänzen.
In einem von Irving gegen Lipstadt angestrengten Prozess hat auch Irvings publizistische Behandlung der Bombenangriffe auf Dresden eine Rolle gespielt. Der Historiker Richard J. Evans, der in diesem Verfahren als Gutachter auftrat, hat seine Erkenntnisse über Irvings Arbeitsweise unter dem Titel Der Geschichtsfälscher als Buch veröffentlicht. Das 5. Kapitel trägt in Anlehnung an Irvings Text den Titel Der Untergang Dresdens.
Evans ließ zunächst von einem Forschungsassistenten die verschiedenen deutschen und englischen Ausgaben des Buchs miteinander vergleichen und bezeichnete das Ergebnis dieser Untersuchung als "höchst aufschlussreich". (Evans, Geschichtsfälscher, S. 195).
Wie es scheint, hat Irving sich anfangs auf einen Mitarbeiter der Stadtverwaltung Dresden namens Hans Voigt gestützt. Voigt hat nach dem Krieg den Behörden eine Zahl von 35.000 Todesopfern gemeldet. Dieses Ergebnis war nicht weit entfernt von der überraschend präzisen Schätzung von 39773 Toten, zu der Georg Feydt gelangt war, der erste Autor, der 1953 eine sachliche Darstellung der Bombenangriffe veröffentlicht hatte. (Evans, S. 196)
Irving hat diese Zahl jedoch nicht akzeptiert und behauptet, Voigt habe in einer persönlichen Angabe eine Zahl von 135.000 Opfern genannt. Diese Zahl tauchte dann in Irvings Buch Der Untergang Dresdens auf. 1963 erklärte Irving, man hätte einfach die erste Ziffer weggelassen. Die Russen hätten versucht, die Bürger in den Ostblockländern mit dem Hinweis zu beruhigen, die Bombardements durch die Westmächte wären nicht besonders gefährlich. 1995 hat Irving diese Behauptung in APOCALYPSE 1945 wiederholt:
Entsprechend ihrer Überzeugung, die alliierten Luftstreitkräfte wären keine wirkungsvolle Kriegswaffe, haben sich die sowjetischen Behörden geweigert, diese Schätzung der Todesopfer zu akzeptieren, die er [d.i. Voigt/JL] mit 135.000 ansetzte. Seiner Ansicht nach haben sie "einfach die erste Ziffer gestrichen", um auf ihre Zahl von fünfunddreißigtausend Toten zu kommen.
Allerdings gibt es - abgesehen von Irvings eigener Behauptung - keine Beweise dafür, dass die Zahl tatsächlich genannt und auf die beschriebene Weise manipuliert worden ist. Im Kalten Krieg wäre, ganz im Gegenteil, viel eher damit zu rechnen gewesen, dass die Sowjets (ähnlich wie in Auschwitz) den kapitalistisch-faschistischen Klassenfeinden eine viel zu hohe Zahl von Opfern anlasten.
Mitte der sechziger Jahre gelangte ein Dokument in Irvings Besitz, das die Überschrift trägt: "Der Höhere SS und Polizeiführer Dresden: Tagesbefehl Nr. 47, Luftangriff auf Dresden". Der Befehl stammt angeblich vom 22. März 1945 und soll von einem Oberst Grosse erlassen worden sein. Dort wird eine Zahl von 202.040 Opfern genannt und durch die Einschätzung ergänzt, man müsse wohl mit bis zu 250.000 Opfern rechnen. In den 1966/1967 erschienenen Auflagen von Der Untergang Dresdens stellte Irving den "TB 47" groß heraus.
Irving war allerdings nicht der Erste, der den TB 47 zu sehen bekommen oder darüber geschrieben hatte. Bereits 1955 hatte Max Seydewitz, ein früherer Oberbürgermeister von Dresden, eine Kopie angefertigt und das Dokument als Fälschung abqualifiziert. Irving hatte diese Einschätzung akzeptiert. (Evans, S. 198)
Später hat Irving seine Ansicht jedoch geändert und den TB 47 als authentisch bezeichnet. Als Irving im Rahmen des Lipstadt-Prozesses seine Quellen offen legen musste, kam heraus, dass er im November 1964 den Dresdner Fotografen Walter Hahn besucht hatte. Auf dessen Schreibtisch sah Irving das Dokument - allerdings nicht das Original, sondern eine Abschrift, die Hahn mit Schreibmaschine getippt hatte. Hahn hatte die Abschrift ohne Wissen des Besitzers Funfack angefertigt. Von dieser Kopie ließ Irving sich nun seinerseits eine Abschrift anfertigen. Anschließend drängte Irving seinen deutschen Verlag, das Dokument in die nächste Auflage seines Buchs aufzunehmen, da es "sensationell" und zweifellos echt sei. (Evans, S. 200)
Was Irving jedoch in Dresden erhalten hatte, war überhaupt kein echtes Dokument. Es war lediglich der Durchschlag einer maschinengeschriebenen Abschrift, die ihrerseits die getippte Abschrift einer handschriftlichen Kopie eines Auszugs aus einem unbekannten Dokument war, das durch keinerlei besondere Kennzeichen wie eine Unterschrift oder einen amtlichen Stempel irgendwelcher Art beglaubigt war.
Nachdem Irving und sein deutscher Verleger eine Weile mit dieser Zahl von rund 200.000 Opfern für Irvings Buch geworben hatten, ging bei Irving ein Brief von Max Funfack ein, der dem Fotografen Hahn das Dokument ursprünglich vertraulich und leihweise überlassen hatte. In diesem Brief erklärte Funfack, er habe die Zahlen "immer nur von dritter Hand erfahren", und die Angaben hätten zudem erheblich differiert. Auch über seine berufliche Tätigkeit habe man falsche Angaben verbreitet. Er könne jedenfalls keinerlei verbindliche Angaben über die Zahl der Toten machen, sondern nur wiedergeben, was ihm zugetragen worden sei. Schriftliche Unterlagen darüber habe er nie gesehen.
Grundlage des TB 47, auf den Irving bei Hahn gestoßen ist, war offenbar ein Beitrag in der Nazi-Zeitschrift "Das Reich" vom März 1945. Die dort erwähnten Zahlen wurden in die Auslandssendungen der Nazis übernommen:
Goebbels fütterte damit die Korrespondenten der neutralen Auslandspresse in Berlin.
Das Propagandaministerium wollte mit einer extrem hohen Zahl von Todesopfern im neutralen Ausland Abscheu gegen die Angriffe wecken. Wie sich zeigte, wurden damals die Zahlen (etwa von schwedischen Zeitungen) mindestens teilweise akzeptiert.
Im TB 47 werden neben den angeblich bereits registrierten 202.040 Toten und den bis zu 250.000 erwarteten Opfern auch 68.650 Leichen erwähnt, die auf dem Altmarkt in Dresden verbrannt worden wären. Irving hat diese Zahl übernommen, an anderer Stelle in ein und demselben Buch jedoch eine Zahl von lediglich 9000 verbrannten Leichen genannt.
Er unternahm keinen Versuch, diesen Widerspruch aufzuklären.
1965 haben Reporter des Stern versucht, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie stießen unter anderem auf Major Ludwig Nölke. Zum TB 47 konnte Nölke nichts sagen, doch da er zur Zeit der Bombenangriffe Polizeikommandeur von Dresden-Mitte war, konnte er sich zu den Zahlen der Opfer äußern. Die genannte Zahl der zerstörten Gebäude war seiner Ansicht nach korrekt, nicht aber die Zahl der Todesopfer. Nölke habe, so die Stern-Reporter, die nach dem Krieg von Oberbürgermeister Weidauer genannte Zahl von 35.000 Todesopfer für realistisch gehalten.
Ein weiterer Reporter konnte Wolfgang Thierig befragen, der damals in Dresden für den Luftschutz zuständig war. Thierig hielt das Dokument einschließlich der Zahl der Toten für echt. Ein Jahr später tauchte allerdings ein Dokument auf, in dem zu lesen war, dass die Polizei bis zum 10. März 1945 (zehn Tage vor dem Erlass von TB 47) 18.375 Personen als getötet aufgeführt hatte. Dieses Dokument trug Wolfgang Thierigs Unterschrift.
Irving hat in den sechziger Jahren versucht, den bereits erwähnten Oberst Grosse ausfindig zu machen und nahm schließlich mit dessen Witwe Kontakt auf. In den hinterlassenen Papieren des Offiziers fanden sich einige Briefe, aber kein Hinweis auf den TB 47, was Irving jedoch nicht davon abhielt, den TB 47 aufgrund angeblich deutlicher Ähnlichkeiten erneut für echt zu erklären. Anhaltspunkte, worin die Ähnlichkeiten bestehen sollten, konnte Irving offenbar nicht benennen.
Auch eine Nachfrage beim Roten Kreuz brachte Irving nicht weiter. 1965 erhielt Irving die Antwort:
Wir verfügen jedoch über keine Informationen über die Zahl der Todesopfer bei den Luftangriffen auf Dresden.
In einer weiteren Antwort wurde Irving darauf hingewiesen, dass der damalige Beauftragte des RK namens Kleiner in seinen Berichten die Luftangriffe nicht einmal andeutungsweise erwähnt habe, da er nicht in Dresden war, sondern Kriegsgefangenenlager außerhalb der Stadt besucht habe. Irving hat behauptet, die Delegation des Roten Kreuzes habe Berichte über die Zahl der Toten erhalten, konnte dies jedoch nicht belegen.
Doch Irvings Formulierung machte die Geschichte für den unbefangenen Leser glaubwürdig, indem die Zahl der Todesopfer mit dem Roten Kreuz in Verbindung gebracht wurde, obwohl es diese Verbindung in Wirklichkeit gar nicht gegeben hatte.
Ebenfalls im Jahre 1965 erfuhr Irving in einem Schreiben von Theo Miller, der 1945 beim Dresdener Räumungsstab mitgearbeitet hat, man käme nach seinen Aufzeichnungen nicht über eine Zahl von 36.000 Opfern hinaus. In einem weiteren Brief schilderte Miller detailliert und nüchtern seine Erlebnisse beim Bergen und Verbrennen der Leichen und die logistischen Schwierigkeiten, die damit verbunden waren. Er wies darauf hin, dass eine Zahl, die über 50.000 Leichen hinausginge, schon aus praktischen Gründen nicht zu bewältigen gewesen wäre und von vornherein ausgeschlossen werden könne. (Evans S. 214f).
So erlitt Irving bei seinen Versuchen, den TB 47 mit den dort erwähnten 202.040 Opfern als authentisch und glaubwürdig darzustellen, immer neue Rückschläge. Just in dem Augenblick, als Irvings angeblich neue, sensationelle Quelle in einer Neuauflage seines Buchs veröffentlicht werden sollte, tauchte das bislang wichtigste Dokument auf. Es handelte sich um ein vom Polizeibeamten Max Jurk mit Diktatzeichen versehenes und vom Polizeioberst Wolfgang Thierig unterzeichnetes Schriftstück. Dort waren exakte Schäden benannt, und es heißt unter anderem:
"Bis 10.3.1945 früh festgestellt: 18.375 Gefallene, 2.212 Schwerverwundete, 13.718 Leichtverwundete, 350.000 Obdachlose und langfristig Umquartierte ..."
Die Gesamtzahl der Gefallenen wurde "auf etwa 25.000 geschätzt". Im Gegensatz zum TB 47 trug diese polizeiliche "Schlussmeldung" eine identifizierbare Unterschrift und einen "Geheim"-Stempel. Das Dokument wurde erstmals 1966 in Weidauers Buch Inferno Dresden veröffentlicht.
Am 5. April 1966 wurde Irving von einem Mitarbeiter der Stadtverwaltung Dresden über dieses wichtige Dokument unterrichtet. Zunächst antwortete Irving, er sei nach wie vor von der Echtheit des TB 47 überzeugt, doch spätestens als der Mitarbeiter Irving eine Kopie des Dokuments zusandte, hätte Irving eigentlich seinen Irrtum einsehen und die Drucklegung seines Buchs mit dem offensichtlich falschen TB 47 stoppen müssen.
Fast gleichzeitig tauchte im Bundesarchiv Koblenz ein weiteres Dokument auf, das die Echtheit der "Schlussmeldung" bestätigte. Der "Lagebericht 1404" der Berliner Polizei trägt das gleiche Datum (22. März 1945) wie der TB 47. In diesem Dokument werden die gleichen Daten genannt wie in der oben erwähnten "Schlussmeldung", einschließlich des gerade aktuellen Standes von 18.375 bereits geborgenen Toten und einer geschätzten Gesamtzahl von 25.000 bis 35.000 Opfern.
Am 7. Juli schickte Irving einen Leserbrief an die Londoner Times und erklärte, die neuen Dokumente hätten ihn überzeugt und er habe kein Interesse, falsche Legenden zu nähren.
Ganz vorbehaltlos war Irvings Rückzieher allerdings nicht. Er bezeichnete es als unwahrscheinlich, dass die Deutschen in so kurzer Zeit 18.375 Tote so präzise zählen konnten. Die nahe liegende Frage, warum er denn vorher die viel höhere Zahl von 202.040 Opfern als ebenso präzise gezählte Angabe für zutreffend gehalten habe, blieb offen. (Evans, S. 219).
1967 erschien eine deutsche Neuauflage von Irvings Buch über den Untergang Dresdens. Die falschen Angaben waren nicht korrigiert, nach wie vor spielte der TB 47 eine wichtige Rolle und Irving hatte auch die seiner Ansicht nach wahrscheinlichste (und falsche) Zahl von 135.000 Opfern nicht zurückgenommen.
1975 hat der Historiker Götz Bergander ein weiteres Dokument über die Luftangriffe veröffentlicht. Es war der Lagebericht Nr. 1414 der Berliner Polizei vom 3. April 1945. Dort werden mit Stand vom 31.3.1945 insgesamt 22.096 geborgene Gefallene erwähnt. (Evans, S. 217).
1977 kam noch ein abschließender Mosaikstein hinzu, denn in diesem Jahr konnte Götz Bergander nachweisen, dass der TB 47 tatsächlich eine Fälschung war. Der Historiker fand einen Reservisten namens Ehlich, der den echten TB 47 gesehen und im Rahmen seiner Dienstpflichten als Mitarbeiter der Dresdner Polizei abgeschrieben habe. Der Wortlaut entsprach weitgehend dem von Irving zitierten Text, doch es gab einen entscheidenden Unterschied:
In Ehlichs Abschrift betrug die damals aktuelle Zahl der Todesopfer 20.204, die Zahl der insgesamt erwarteten Opfer 25.000 und die der kremierten Leichen 6.865. Offenbar hatte irgendjemand, wahrscheinlich aus Goebbels' Propagandaminsterium, das Dokument grob gefälscht, indem er einfach an jede dieser drei Zahlen eine Null anhängte.
Irving war auf eine Fälschung aus Goebbels' Propagandaapparat hereingefallen. Erst in der 1995 erschienenen Neuausgabe seines Buchs räumte Irving ein, dass der von ihm publizierte TB 47 eine Fälschung war und auf propagandistische Verlautbarungen der Nazis zurückgeht.
Dennoch hat Irving auch danach noch mit teilweise recht absurden Behauptungen versucht, doch noch eine höhere Zahl von Opfern als glaubwürdig darzustellen, aber offenbar, so bemerkt Evans am Schluss des Kapitels, habe Irvings deutscher Verleger 1985 die richtige Art und Weise gefunden, mit Irvings Buch über Dresden umzugehen, als er auf dem Umschlag das Wort "Roman" einfügte.