Die vier Millionen von Auschwitz
Die Auschwitzleugner und die Mathematik
Auschwitzleugner versuchen immer wieder, mit Hilfe verschiedener Rechnungen den Nachweis zu führen, in den Vernichtungslagern der Nazis wären erheblich weniger Opfer umgekommen als bisher angenommen.
Eines dieser Rechenkunststücke greift auf die Tafeln zurück, die bis etwa Anfang der neunziger Jahre noch in der Gedenkstätte Auschwitz zu sehen waren. Auf diesen Tafeln war auf Anweisung der sowjetischen bzw. polnischen Behörden die Rede von vier Millionen Opfern, die in Auschwitz ermordet worden seien.
Die Tafeln wurden nach dem Zusammenbruch des Ostblocks verändert. Die Gedenkstätte Auschwitz hat sich damit nach langem Zögern an das angepasst, was seit Jahrzehnten als Stand der Wissenschaft gilt.
Auschwitzleugner behaupten nun, da die Zahl der jüdischen Opfer in Auschwitz um drei Millionen gesenkt worden sei, müsste auch die Gesamtzahl von sechs Millionen jüdischen Opfern des Nationalsozialismus entsprechend gesenkt werden.
Die Forderung, die Gesamtzahl der Opfer müsse korrigiert werden, ist jedoch nicht nachzuvollziehen.
Das erste Täuschungsmanöver der Holocaust-Leugner besteht darin, dass auf den Tafeln bis 1990 von vier Millionen Opfern, aber nicht von vier Millionen jüdischen Opfern die Rede war.
Zweitens ist schon seit Jahrzehnten bekannt, dass die Zahl von vier Millionen Auschwitz-Opfern eine propagandastisch überhöhte Zahl der Sowjets war. Der britische Historiker Reitlinger hat bereits 1953 in der englischen und 1956 in der deutschen Fassung seines Werks The Final Solution (dt. Die Endlösung) auf diese Übertreibung der Sowjets hingewiesen:
Die Welt ist gegen derartige "Schätzungen" misstrauisch geworden, und die runde Ziffer von 4 Millionen kann einer ernsten Nachprüfung nicht stand halten. Unlgückseligerweise hat die sowjetische Arithmetik die nackte und unleugbare Tatsache verschleiert, dass nicht viel weniger als eine Million Menschen in Auschwitz, seinen Gaskammern und Lagern umkamen.
Raul Hilberg hat in seinem Anfang der sechziger Jahre erschienenen Werk Die Vernichtung der europäischen Juden, S. 1299, eine Zahl von ca. 1 Million Auschwitzopfern angesetzt. Er kommt bei seinen äußerst zurückhaltenden und vorsichtigen Berechnungen auf eine Gesamtzahl von 5,1 Millionen jüdischen Opfern.
Andere Forscher nennen etwas höhere Zahlen (Benz in Legenden, Lügen, Vorurteile, S. 162, beispielsweise rund 6 Millionen), doch die Größenordnung ist in allen Fällen ähnlich. Auch Benz geht für das Vernichtungslager Auschwitz von etwa einer Million Opfern aus. Da keiner dieser Historiker von vier Millionen Auschwitz-Opfern ausgegangen ist, muss in ihren Berechnungen auch nichts verändert werden.
Hilbergs mehr als tausend Seiten starkes, akribisch recherchiertes Werk wird von Auschwitzleugnern jedoch häufig pauschal als wertlos abgetan:
Hilberg sponn sich 5,1 Millionen Tote zusammen. Ende und Aus. Damit ist sein Einzelkram hinfaellig.
Der "Einzelkram", der "hinfällig" sei, das sind genau jene Nachweise, mit denen Hilberg auf eine Zahl von etwa 1 Million Auschwitz-Opfern und eine Gesamtzahl von etwa 5,1 Millionen jüdischen Opfern des Holocaust kommt.
Wenn man das Werk eines Forschers, der sich lange und intensiv mit einem Thema beschäftigt hat, als Spinnerei abtut, dann sollte man gute Gründe dafür haben und mit Zitaten aus dem Werk selbst belegen können, warum man die Ergebnisse nicht akzeptiert.
Auschwitzleugner sind dazu nicht in der Lage. Sie scheuen die Diskussion über konkrete Details und beschränken sich auf unbegründete und unhaltbare Pauschalurteile: Argumentation durch Händewedeln.
Nicht selten verurteilen sie Hilbergs Buch sogar, ohne es überhaupt je gelesen zu haben:
Da ich den Eindruck habe, daß Du in beiden Angelegenheit entweder selbst noch manipuliert bist, oder aber (auch) auftragsgemäß andere Auffassungen vertrittst, ist Deine Hilberg-Empfehlung für mich eher eine Auforderung, genau diesen nicht zu lesen.
Heinz Galinski: Ein unfreiwilliger Zeuge
Auf der gleichen Linie liegt der Versuch, den Historiker Hilberg, der den Judenmord der Nazis überzeugend nachgewiesen hat, gleich selbst zum Nazi zu erklären:
Heinz Galinski, lange Zeit Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland. Dieser betrachtete die Zahlensenkung auf unter 4 Millionen sogar als Verhoehnung der Opfer! Hilberg ist also ein *Nazi*. Zumindest muss er es bis 1990 gewesen sein.
Diese Perfidie sucht ihresgleichen. Es ist schon erstaunlich, dass ein Auschwitzleugner ausgerechnet den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland bemüht, um zu "beweisen", dass der Massenmord in Auschwitz nicht passiert wäre oder dass renommierte Historiker wie Hilberg nicht korrekt gearbeitet hätten.
Die taz beschrieb Galinskis Reaktion folgendermaßen:
Der Vorsitzende der Zentralrats der Juden in Deutschland, Galinski - selber ein Auschwitz-Überlebender -, kritisierte das Abbauen des Schildes als eine "Verhöhnung der Opfer" und sprach von Zahlen-"Spekulationen", an denen er sich grundsätzlich nicht beteilige, da sie nur der Relativierung der NS-Verbrechen dienen sollten. Für ihn sei es historisch erwiesen, daß in dem "schlimmsten Vernichtungshof der Welt" vier Millionen Menschen umgekommen seien.
Man könnte Galinski (und den Papst, der ebenfalls von vier Millionen Auschwitz-Opfern gesprochen haben soll) in diesem Punkt kritisieren, weil sie halsstarrig an falschen Daten festgehalten hätten, doch die Irrtümer zweier alter Männer können nicht rückwirkend die historische Realität des Vernichtungslagers Auschwitz ändern.
Erklärlich werden die Irrtümer Galinskis und des Papstes möglicherweise dadurch, dass beide aus dem ehemaligen Ostblock stammen. Vermutlich haben sie sich die Zahl zu eigen gemacht, die in ihrer alten Heimat von den Sowjets verbreitet wurde und auf den Gedenktafeln in Auschwitz zu sehen war. Es dürfte sich hier mit ziemlicher Sicherheit nicht um drei verschiedene Quellen handeln, sondern nur um eine einzige: um eben jene Zahl, die Reitlinger bereits 1953 als sowjetische Propaganda bloßgestellt hat.
Wenn Galinski und der Papst auch später noch daran festgehalten haben, dann mag man ihnen Engstirnigkeit vorwerfen, oder man mag sie beschuldigen, sich nicht ausreichend informiert zu haben. An der historischen Realität ändert dies, wie gesagt, überhaupt nichts.
Man könnte den Historikern nun vorhalten, sie hätten nicht eingegriffen und sich nicht bemüht, Galinskis Irrtum richtigzustellen. Doch dieser Vorwurf ist nicht haltbar. Es ist nicht die Aufgabe der Historiker, unzutreffende Aussagen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu korrigieren. Historiker stellen lediglich das Material zur Verfügung. Sie sind nicht für das verantwortlich, was andere damit tun oder nicht tun.
Auschwitzleugner erwähnen gelegentlich auch Lexika, in denen falsche Zahlen für Auschwitz genannt würden. Es trifft leider zu, dass es solche Ungenauigkeiten in Lexika gibt, und man kann den Lexikonverlagen möglicherweise vorwerfen, dass sie (vermutlich aus finanziellen Erwägungen) alte, ungenaue Eintragungen einfach beibehalten und keine Korrekturen vorgenommen haben - doch gilt hier sinngemäß das Gleiche wie oben. Die falschen Angaben in einem Lexikon ändern nichts an der historischen Realität, die durch diese falschen Angaben unzulänglich beschrieben wird.
Und wenn die Holocaust-Leugner noch so laut darüber klagen, dass viele, die meisten oder sogar alle Lexika bis in die achtziger oder neunziger Jahre falsche Zahlen veröffentlicht hätten und dass diese falschen Zahlen von vielen Leuten (auch von ihnen selbst) geglaubt worden wären - all dies hilft ihnen nicht, den Judenmord wegzudiskutieren, denn ein historisches Ereignis kann durch das, was irgendjemand über dieses Ereignis glaubt oder schreibt, nicht rückwirkend verändert werden.
Im Grunde tun sie folgendes: Sie nehmen eine unbestreitbar falsche Zahl (die vier Millionen) und führen den "Beweis", dass manch einer diese Zahl als richtig angesehen hat. Dann weisen sie darauf hin, dass diese Zahl ja bekanntermaßen falsch war und ziehen aus dieser Konstruktion den Schluss, dass jenes Ereignis, auf das sich die unbestreitbar falsche Zahl bezieht, nicht stattgefunden hätte. Sie übersehen dabei, dass sie die ganze Zeit über eine falsche Zahl, aber nicht über ein tausendfach belegtes historisches Ereignis gesprochen haben.
Die unzutreffenden Angaben für die Opfer von Auschwitz, die in Lexika genannt werden, sehen beispielsweise folgendermaßen aus:
Bis 1945 kamen in Auschwitz 2,5-4 Millionen Menschen um (geschätzte Zahl).
Eugen Kogon, Der SS-Staat
Möglicherweise gingen einige falsche Zahlenangaben in Nachschlagewerken auf das Buch Der SS-Staat von Eugen Kogon zurück, und Kogon könnte sich seinerseits auf die Nürnberger Aussage von Rudolf Höß verlassen haben, der seine viel zu hohen ersten Angaben jedoch später korrigiert hat. [Höß]
Auch Kogon, der an einer Stelle sogar von bis zu 4,5 Millionen Auschwitzopfern spricht, wird von den Holocaust-Leugnern oft erwähnt. Wenn, so argumentieren sie, selbst Kogon in seinem Standardwerk, das teilweise in Schulen von Schülern bearbeitet werde, damals gelogen habe, dann könne man überhaupt nichts mehr als gegeben akzeptieren.
Es ist dies der absurde Versuch, aufgrund der offensichtlich falschen Angabe eines Autors nicht nur die Zuverlässigkeit des Autors, sondern auch gleich das historische Ereignis, auf das sich die falsche Angabe bezieht, in Frage zu stellen.
Wer Kogons Buch liest, was Auschwitzleugner offenbar grundsätzlich nicht tun, erkennt freilich sehr schnell, warum Kogon sich geirrt hat. Dem Vorwort kann man entnehmen, dass Kogon sein Buch bereits im Jahre 1946 geschrieben hat. Zu diesem Zeitpunkt waren lediglich die sowjetischen Zahlen bekannt, Reitlingers Korrektur aber noch nicht, und auch Hilbergs Untersuchung war noch nicht veröffentlicht.
Auf Seite 175 bezeichnet Kogon seine Zahlen zudem als "erste annähernde kritische Schätzung der Gesamtzahl der Todesopfer", für die es verschiedene Anhaltspunkte gebe. Er fährt fort:
Ich hebe ausdrücklich hervor, daß es sich in jedem Fall immer nur um den Versuch von Schätzungen handeln kann.
Kogon hat gewusst, dass seine Daten nicht vollständig waren, und entsprechende Vorbehalte gemacht.
Diese Zahlen, die Kogon selbst als nicht gesichert deklariert, werden von Auschwitzleugnern häufig so dargestellt, als hätte Kogon endgültige, abgesicherte Angaben vorgelegt. Der nächste (unlogische) Schritt der Auschwitzleugner besteht dann darin, die ganze Zunft der Historiker gleichsam in Sippenhaft zu nehmen: Wenn Kogon Fehler gemacht habe, dürfe man niemandem mehr glauben.
Auf Seite 176 wird jedoch deutlich, wo Kogons Irrtum liegt, und es zeigt sich, dass sein Fehler ebenso verständlich wie unvermeidlich war. Er zählt dort neben Auschwitz eine Reihe anderer Vernichtungslager auf:
Etwa ein halbes Dutzend kleinerer dürften zusammen ebenfalls 1,5 bis 2 Millionen Tote gefordert haben, so vor allem Maidanek, Treblinka, Skarzisko Kamienno sowie die Ghettos in Warschau, Lemberg und Riga.
Es fällt auf, dass er einige Vernichtungslager nicht erwähnt: Belzec, Kulmhof (Chelmno) und Sobibor. Diese Lager befanden sich im Einflussbereich der Sowjets, die damals (wie wir oben bereits gesehen haben) nicht unbedingt zuverlässige Angaben gemacht haben.
Als Kogon 1946 sein Buch schrieb, waren ihm diese Lager offenbar noch nicht bekannt, weil die Sowjets nichts darüber mitgeteilt hatten.
Auch die Rolle der "Einsatzgruppen", auf deren Konto mindestens eine Million Opfer gehen, war damals noch nicht gründlich genug erforscht. Von den Massentötungen mit Gaswagen hat Kogon offenbar nichts gewusst; die Namen "Ohlendorf" und "Rauff", die in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielen, tauchen im Register seines Buches nicht auf. [vgl. z.B. Ohlendorf]
All diese Opfer hat Kogon vermutlich mangels genauer Informationen jenen Vernichtungslagern zugeschlagen, die ihm im Jahre 1946 bekannt waren. Der Fehler Kogons betrifft demnach nicht etwa die Gesamtzahl der Opfer, sondern lediglich die Zuordnung der Opfer auf die Vernichtungslager bzw. die Art der Ermordung.
Auch Kogons Irrtum bietet also keine Handhabe, an der Gesamtzahl der jüdischen Opfer des Holocaust irgendetwas zu ändern.
Das "Viermillionenmanöver" ist ein Versuch der Auschwitzleugner, den Lesern Sand in die Augen zu streuen, und die Weigerung der Rechtsextremisten, auf die Details historischer Werke einzugehen, spricht Bände.
Bei diesen Details handelt sich - um nur ein Beispiel zu nennen - um Dokumente wie das Arbeitsblatt eines Handwerkers in Auschwitz, in dem das Wort "Gaskammer" auftaucht.
Um solche Dokumente aus der Welt zu schaffen, müsste man schon nachweisen können, dass sie gefälscht sind. Pauschal wird dieser Vorwurf von Auschwitzleugnern oft erhoben, am konkreten Objekt scheitert der Nachweis regelmäßig.
Zahlreiche hieb- und stichfeste Beweise für die Realität des Holocaust haben sich auch im Rahmen von Prozessen vor deutschen Gerichten ergeben. Um dies vom Tisch zu bekommen, müssten die Auschwitzleugner den Nachweis führen, dass mehrere bundesrepublikanische Gerichte einschließlich aller Prozessbeteiligten sich verschworen haben, die Geschichtsschreibung zu fälschen. Die Täter, die ihre Verbrechen teilweise gestanden haben und zu Haftstrafen verurteilt worden sind, müssten an dieser Verschwörung beteiligt gewesen sein.
Da die Auschwitzleugner genau wissen, wie zwingend die Beweislage in dieser Hinsicht ist, greifen sie zu Manövern wie dem hier beschriebenen. Mit Hilfe von Zahlenspielen soll wegdiskutiert werden, was durch Sachbeweise nicht zu widerlegen ist.