Dieter Wisliceny
Aussagen unter Folter?
Dieter Wisliceny war unter Adolf Eichmann zunächst im SD-Hauptamt und später im Referat IV B 4 ("Judenangelegenheiten") beim Reichssicherheitshauptamt beschäftigt. Das RSHA wurde zu Beginn des Zweiten Weltkriegs von Himmler gegründet, als Amtsleiter fungierte Reinhard Heydrich, nach dessen Tod infolge eines Attentats Ernst Kaltenbrunner.
Wisliceny als Eichmanns direkter Untergebener war mit der Deportation der europäischen Juden in die nationalsozialistischen Vernichtungslager befasst. Er wirkte u.a. bei der Deportation von mehr als 400.000 ungarischen Juden nach Auschwitz mit.[1]
Wisliceny wurde 1945 in Aussee (Österreich) verhaftet. Danach trat er bei den Nürnberger Prozessen als Zeuge der Anklage auf (siehe Vernehmungsprotokoll). Nach seiner Auslieferung an die Tschechoslowakei wurde er dort zum Tode verurteilt. Während der Haft machte er in Bratislava eine ausführliche schriftliche Aussage.
Beide Dokumente, Wislicenys Zeugenaussage in Nürnberg und seine schriftliche Aussage in Bratislava, sind für die Leugner des Massenmordes an den Juden sehr unangenehm, enthalten sie doch klare Hinweise auf den Massenmord aus dem Mund eines hochrangigen Täters.
Da aber nicht sein kann, was nicht sein darf, behaupten die "Revisionisten", Wislicenys Aussagen seien ihm entweder unter Folter abgepresst worden, oder er sei mit Versprechungen verleitet worden, das Naziregime und seine Täter zu belasten. Diese Behauptungen werden in zahlreichen "revisionistischen" Texten verbreitet, die sich häufig lediglich aufeinander beziehen oder gleich gar keine Quellenangaben anbieten.[2]
Für die erste Behauptung gibt es, wie wir gleich sehen werden, nicht den geringsten Beweis.
Auch die zweite Behauptung hilft den "Revisionisten" nicht weiter, denn es ist durchaus möglich, jemanden durch Versprechungen zu einer wahren Aussage zu bewegen. Dies ist bei der "Kronzeugenregelung" gängige Praxis, und niemand käme auf die Idee zu behaupten, jeder Kronzeuge hätte allein schon deshalb falsche Angaben gemacht, weil er ein Kronzeuge war. Wer Wislicenys Aussage für manipuliert hält, muss die Manipulation nachweisen. Obwohl die "Revisionisten" entsprechende Behauptungen immer wieder aufgreifen, ist ihnen dieser Nachweis bis heute nicht gelungen.
Wie die "Revisionisten" mit Wislicenys Aussagen umgehen, zeigen beispielhaft die folgenden Zitate. Den Anfang soll Richard Harwood machen:
(...) die nach dem Krieg herausgepressten Erklärungen von Leuten wie Hoettl, Ohlendorf und Wisliceny, letzterer unter Folter in einem sowjetischen Gefängnis. (S. 23)
Er wurde unter noch grausameren Umständen, wie oben beschrieben, erpresst, denn Wisliceny fiel in die Hände der tschechischen Kommunisten und wurde in einem Gefängnis in Bratislawa ‚verhört’, das von den Sowjets kontrolliert wurde. Wisliceny war ein nervöses Wrack, und bis zu seiner Hinrichtung bekam er stundenlange Weinkrämpfe. (...) Ansonsten sind die Memoiren ein typisches kommunistisches ‚Geständnis’, wie wir es von den sowjetischen Schauprozessen her kennen. (S. 31)
Rassinier schliesst auch daraus, dass Aussagen zur Untermauerung von den Sechs Millionen durch solche Leute wie Hoess, Hoettl, Wisliceny und Höllriegel, die mit ihren Todesurteilen zu rechnen hatten oder mit der Hoffnung begnadigt zu werden und die ständigen Folterungen ausgesetzt waren, völlig unglaubwürdig sind. (S. 68)
Keine dieser Behauptungen ist mit Quellen und Dokumenten belegt. Harwoods Text erscheint auch in Udo Walendy, Historische Tatsachen 1. Der Verweis auf Rassinier im letzten Zitat ist nicht weiter referenziert. An dieser Stelle wird nicht einmal klar, welches Buch von Rassinier Harwood hier überhaupt meint.
Wie wir gleich sehen werden, führt dieser Hinweis ohnehin nicht weiter, denn Rassinier macht dort, wo er Wisliceny erwähnt, ebenfalls keine brauchbaren Angaben.
Darunter findet man keine Fußnote, keinen Hinweis auf weiterführende Quellen und Dokumente. Wenn ein "Revisionist" etwas beweisen will, reicht anscheinend "Eine lange Erfahrung".
Bei Serge Thion klingt dies so:
Dem Historiker sind weitere Fälle verbürgter Folterung durch die Alliierten bekannt, insbesondere seitens der Sowjets und der Polen (die Fälle Wisliceny, [Ohlendorf], Rudolf Höß).
Thion lehnt sich hier weit aus dem Fenster. Fälle verbürgter Folterung? Und wer bürgt für die Wahrheit dieser Behauptung? Bei Thion ist in dieser Hinsicht nichts zu finden, auch er nennt keine Quelle.
Abgesehen von den Hinweisen auf andere "Revisionisten", die ebenfalls nichts anzubieten haben, findet man gelegentlich noch die folgende Angabe: Robert Servatius, Verteidigung Adolf Eichmann. Plädoyer. Servatius verteidigte Eichmann in Jerusalem und gab anschließend sein Plädoyer in Form einer Broschüre heraus. Während der Verhandlung versuchte er mehrmals, die belastenden Aussagen Wislicenys zu entkräften oder deren Zulassung als Beweismittel zu verhindern.
Die Behauptungen, Wisliceny sei mit Versprechungen zu einer unwahren Aussage verleitet worden, gehen vermutlich auf Servatius zurück. Tatsächlich hat sich der Anwalt im Laufe der Verhandlung mehrmals in diesem Sinne geäußert. Bewiesen hat er es nicht.
Das gesamte Protokoll des Prozesses gegen Eichmann in Jerusalem liegt in englischer Sprache online vor; bei Youtube sind Filmaufnahmen von Servatius' Plädoyer in deutscher Sprache zu sehen. Soweit ich die Dokumente gesehen und gelesen habe, behauptet Servatius an keiner Stelle, Wisliceny sei gefoltert worden. Woher die "revisionistischen" Autoren diese Behauptung haben, bleibt im Dunklen.
Vielleicht wäre dies der richtige Zeitpunkt, jemanden zu Wort kommen zu lassen, der Wisliceny tatsächlich in Bratislava gesehen hat:
I myself saw him in November 1946, when he had already been condemned to death and was awaiting execution. He was hanged some weeks later. I interviewed him in the commandant’s office in the central jail of Bratislava. In his talk to me, he was absolutely consistent in his report, confirming the evidence he had given in January before the international tribunal and going into somewhat more detail.
[Ich sah ihn selbst im November 1946, als er bereits zum Tode verurteilt war und auf die Hinrichtung wartete. Einige Wochen später wurde er gehängt. Ich befragte ihn im Büro des Kommandanten im Zentralgefängnis von Bratislava. Das Gespräch mit mir entsprach ganz und gar seinem Bericht, bestätigte die Aussagen, die er im Januar vor dem Internationalen Militärgerichtshof gemacht hatte, und ging mitunter noch weiter ins Detail.]
Wäre Wisliceny wirklich so übel zugerichtet worden, wie die "Revisionisten" behaupten, dann hätte Pearlman einen gebrochenen Mann mit deutlichen Spuren der angeblichen Folterungen gesehen. Stattdessen war Wisliceny offensichtlich ansprechbar und klar und nannte freiwillig sogar noch zusätzliche Einzelheiten.
Pearlmans Buch ist 1961 erschienen und war Servatius offenbar bekannt, denn in seinem Schlussplädoyer bezieht sich Eichmanns Anwalt mehrmals auf dieses Buch. Die "Revisionisten" hätten mithin genug Zeit gehabt, sich mit diesem Text zu beschäftigen und zu erklären, warum Pearlman keine Spuren der Folterungen gesehen hat.
Im Übrigen erledigt sich hier auch gleich die Idee, Wisliceny habe sich von einer geschmeidigen Aussage irgendetwas versprochen. Er war bereits zum Tode verurteilt und hatte keinen Grund, Pearlman gegenüber in irgeneiner Weise nachgiebig zu sein, denn der Autor hatte nichts in der Hand, womit er Wisliceny hätte unter Druck setzen können.
Jürgen Graf setzt den Reigen folgendermaßen fort:
Du meinst wohl Wisliceny und Höttl. Arturo: Dieter Wisliceny war der Gestapo-Chef von Pressburg (Bratislava). Er geriet in kommunistische Gefangenschaft und soll Harwwod[!] zufolge (4) aufs schwerste gefoltert worden sein. Die Zahl von sechs Millionen ermordeter Juden will er seinem Geständnis nach (5) von Eichmann gehört haben. Der Wert solcher Geständnisse ist natürlich null.
Wisliceny, ehemaliger Gestapo-Chef von Pressburg (Bratislava), legte sein Geständnis zunächst beim Internationalen Militärtribunal in Nürnberg und dann in tschechischer Haft ab. Da solche Geständnisse mit allen möglichen Mitteln, darunter Folter, erpresst werden konnten, ist ihr Wert natürlich gleich null.
Graf bedient sich bei Harwood, Harwood bezieht sich auf Rassinier, und Rassinier hat keinerlei Belege. Diese Methode der "historischen Forschung" entspricht ziemlich genau dem, was Graf & Co der seriösen Geschichtswissenschaft immer wieder - zu Unrecht - vorwerfen.
Zwischen dem ersten und dem zweiten Text liegen 22 Jahre. Graf wiederholt einfach die Behauptung, die damals schon nicht belegt war. Recherche in der Zwischenzeit: natürlich gleich Null.
Bei Germar Rudolf sieht es nicht besser aus:
Während Wisliceny und Eichmann später abgeurteilt und gehenkt wurden, wurde W. Höttl nie gerichtlich verfolgt, obwohl er ähnlich tief in die Judendeportationen verstrickt war. Offensichtlich hat man ihm für seine Dienste Straffreiheit zugesagt und dieses Versprechen ihm gegenüber im Gegensatz zu Wisliceny auch gehalten. Über nähere Details der Art und Weise, wie die Aussagen solcher gezwungenen Zeugen während der Nürnberger Prozesse erworben wurden, vergleiche den Beitrag von M. Köhler im Buch.
Wilhelm Höttl und Dieter Wisliceny, die zwei "Kronzeugen" für die behauptete Zahl von sechs Millionen Juden, gehören in die gleiche Kategorie von Zeugen, die unter Drohungen aussagten.
Ernst Gauss ist Germar Rudolf, und der Mitarbeiter Manfred Köhler ist ebenfalls der vielfältige Germar Rudolf. In Köhlers Beitrag kommt der Name "Wisliceny" allerdings nicht einmal vor.
Auch in diesem Fall sind elf Jahre vergangen, in denen die "revisionistische" Beweisführung keinerlei Fortschritte gemacht hat.
Germar Rudolf, der seine unbewiesenen Behauptungen in mehreren Veröffentlichungen fast wortgleich recycelt hat, soll auch das Schlusswort haben:
Auf Seite 4 führt er ein angeblich neues Beweisdokument an und verweist auf einen Vortrag eines Bekannten von ihm. Was ist das für eine Quellenangabe?
Damit meinte Germar Rudolf natürlich nicht seine "revisionistischen" Kollegen und schon gar nicht sich selbst, sondern vielmehr einen seriösen Historiker.
Warum auch sollten er und seine Ableger und Freunde sich an die Maßstäbe halten, die sie an andere anlegen? Am Ende könnte ja noch etwas herauskommen, das nicht ins "revisionistische" Weltbild passt.