Die "Berner Tagwacht"
Mit Falschmeldungen gegen die Geschichtsschreibung
Am 24. August 1945 hat die Berner Tagwacht eine Falschmeldung abgedruckt.
In dieser Meldung hieß es, in deutschen Konzentrationslagern seien 26 Millionen Menschen ums Leben gekommen, die meisten davon in Dachau. Die von der Agentur Reuter übernommene Meldung ist offensichtlich falsch, und es würde sich eigentlich nicht lohnen, auch nur ein weiteres Wort darüber zu verlieren.
Allerdings gibt es "Revisionisten", die diese Meldung als Begründung dafür benutzen wollen, dass der Holocaust ein Lügengebäude sei. Ihre Argumentation geht in etwa dahin, dass die Massenvernichtungen in Auschwitz nicht stattgefunden haben können, wenn über den Holocaust unzutreffende Meldungen wie die in der Berner Tagwacht verbreitet werden.
Wer aber den Nachweis führt, dass eine Zeitung eine ganz bestimmte Falschmeldung gedruckt hat, der hat bewiesen, dass die Zeitung diese Meldung gedruckt hat - und zwar nur dies und nichts anderes. Die Falschmeldung einer bestimmten Zeitung über einen bestimmten Sachverhalt lässt keinen Schluss auf historische Ereignisse zu, die in dieser Meldung überhaupt nicht erwähnt werden.
Der Inhalt dieser Zeitungsmeldung wurde zu keinem Zeitpunkt von irgendeinem Historiker als historisch gesicherte Tatsache angesehen. Genau dies unterstellen die "Revisionisten" aber, um anschließend zu suggerieren, sie hätten die angeblich manipulierte "Geschichtsschreibung der Sieger" nach dem Krieg bei einer Unwahrheit ertappt. Den Nachweis, welche Historiker diese Falschmeldung als wahr angesehen und verbreitet haben, bleiben sie allerdings schuldig.
Es ist bezeichnend für die "revisionistische Geschichtsforschung" der Holocaust-Leugner, dass sie eine Meldung aus dem Jahre 1945, die in der Geschichtsschreibung nie eine Rolle gespielt hat, bemühen, um das anzugreifen, was sie z.B. als "Auschwitz-Lüge" bezeichnen. Derartige Manöver sollen davon ablenken, dass eine echte Auseinandersetzung mit seriösen historischen Werken nicht stattfindet, weil die "Revisionisten" in diesen Werken im Allgemeinen kaum Ansatzpunkte für ihre Kritik finden.
So wird beispielsweise Raul Hilbergs Standardwerk Die Vernichtung der europäischen Juden pauschal als unbrauchbar und unglaubwürdig abgetan; ein konkreter Nachweis, welche Stellen in diesem Werk aufgrund welcher Beweismittel unglaubhaft sein sollen, unterbleibt jedoch. Fragt man beharrlich nach, weichen "Revisionisten" gewöhnlich aus und ziehen obskure Quellen wie den erwähnten Artikel aus der Berner Tagwacht heran, um zu "beweisen", dass die gängige Geschichtsschreibung über den Holocaust nicht den Tatsachen entspreche.
Das führt zu der paradoxen Situation, dass die Holocaust-Leugner etwas offensichtlich Unwahres (die Meldung) benutzen, um etwas offensichtlich Wahres (die Massenvergasungen) in Zweifel zu ziehen.
Als wäre diese Art von Argumentationsakrobatik noch nicht genug, kursiert unter "Revisionisten" außerdem auch noch eine manipulierte Version dieser Meldung. Sie wird gelegentlich folgendermaßen zitiert:
24. August 1945 Berner Tagwacht Seite 1
13 Millionen Ermordete in Dachau
"Hitler-Deutschland in der Welt voran"
"26 Millionen Menschen in deutschen Konzentrationslagern ermordet"
London, 23. August, ag. (Reuter)
Wie der Pariser Korrespondent (...)
Die von mir hervorgehobene Zeile ist im Original nicht enthalten. Auf diese Veränderung angesprochen, erklärte Manfred Koch, dagegen könne man doch überhaupt nichts einwenden, denn die Zahl sei "das Resultat logischer Errechnung".
Es scheint so, als sei den "Revisionisten", die angeblich so großen Wert auf akkurate Geschichtsschreibung legen, der Unterschied zwischen richtig rechnen und richtig zitieren nicht geläufig.
Die Sorglosigkeit, mit der die kommentierende Zeile in das Zitat eingefügt wurde, gibt Anlass zu dem Verdacht, dass auch andere von den "Revisionisten" vorgelegte Zitate nicht immer den Originalen entsprechen.