Die "revisionistische" Sprachwissenschaft
Ausrotten? Aber nie und nimmer!
Die Nazis haben eine Tarnsprache benutzt, um ihre Verbrechen zu verschleiern. Manchmal haben sie allerdings auch Klartext gesprochen.
Die Reaktionen der Holocaustleugner auf entsprechende Dokumente fallen meist in zwei Kategorien.
Geht es um Tarnbegriffe, dann reden die betreffenden seriösen Historiker dem Leser angeblich ein, daß er die Dokumente nur dann verstehen könne, wenn er in ihnen nicht das lese, was in ihnen steht. Geht es um Klartext, dann reden die "Revisionisten" dem Leser ein, dass er in den Dokumenten auf keinen Fall das lesen darf, was dort steht.
Das mag seltsam klingen, aber so ist der "Revisionismus" nun mal (vgl. Germar Rudolf, Grundlagen zur Zeitgeschichte).
Carlo Mattogno widmet in Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 2004/3 den Begriffen "Ausrotten" und "Vernichtung" ein ganzes Unterkapitel. Unter anderem bezieht er sich auf diesen Abschnitt in Hitlers Rede vom 30. Januar 1939:
Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!
Denn die Zeit der propagandistischen Wehrlosigkeit der nichtjüdischen Völker ist zu Ende. Das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien besitzen jene Einrichtungen, die es gestatten, wenn notwendig, die Welt über das Wesen einer Frage aufzuklären, die vielen Völkern instinktiv bewußt und nur wissenschaftlich unklar ist.
Mattogno meint, vielfach würde der zweite Absatz unterschlagen, der das Wort "vernichten" in einem ganz anderen Licht erscheinen lasse. Andererseits erklärt Mattogno, "ausrotten" und "vernichten" hätten die gleiche Bedeutung. Also hat er nun schon zwei Begriffe, die er umdeuten muss:
Unter der "Vernichtung" der jüdischen Rasse in Europa war also einfach zu verstehen, daß andere Völker mit den deutschen und faschistischen Institutionen vertraut gemacht werden sollten, die eine wissenschaftliche Kenntnis der "Judenfrage" vermittelten.
Mattognos Hinweis darauf, daß Hitler die Begriffe "Vernichtung" und "Ausrottung" als Synonyme verwendete, ist aufschlussreich, weil Hitlers Rede vom 30.01.1939 auch den folgenden Abschnitt über die Beziehungen zu Mussolinis Italien enthält:
Ob Mattogno HItler wohl dahingehend beruhigt hätte, dass der Bolschewismus Europa lediglich mit seinen Institutionen vertraut machen und Kenntnisse vermitteln wollte?
Nach einigen weiteren mehr oder weniger geschickt missdeuteten Zitaten meint Mattogno:
Fassen wir zusammen: Entweder glaubte Hitler, eine Niederlage Deutschlands werde nicht nur für die Deutschen, sondern für sämtliche europäischen Völker (!) die biologische Ausrottung mit sich bringen – eine offenkundig groteske Vorstellung! –, oder aber er gebrauchte die Begriffe "Vernichtung" und "Ausrottung" auch im Zusammenhang mit den Juden in übertragenem Sinne.
Entweder, Herr Mattogno. Auf jeden Fall Entweder. Hitler hatte bisweilen durchaus groteske Vorstellungen. Im Übrigen gibt es für "Vernichtung" und "Ausrottung" keinen übertragenen Sinn; oder jedenfalls nicht so, wie Mattogno es anscheinend meint. Es gibt auschließlich dies: Dinge und Ideen, die vernichtet und ausgerottet werden, sind zerstört oder nicht mehr da. Lebewesen, die vernichtet oder ausgerottet werden, sind tot.
Hitler war in dieser Hinsicht ganz unmissverständlich:
Oder auch in einem Buch, das unter Goebbels' Aufsicht entstanden ist und Hitlers Vorstellungen sicher nicht falsch widergibt:
Jüdischer Völkermord
So ungeheuerlich dieses Vorhaben klingen mag, ein 80-Millionen-Volk kalten Herzens auszurotten, so sehr man geneigt ist, den Plan an sich schon für unwirklich und unglaubhaft zu halten, so realpolitisch ist er vom Weltjudentum gedacht. Wir wären nicht das erste Volk, das vom Juden gemordet würde.
Man beachte den Verlag und das Erscheinungsjahr.
Hier präsentiert uns also Hitlers Parteiverlag den Begriff "Mord" als ein weiteres Synonym für "ausrotten". Mattogno mag den Begriff "ausrotten" so grotesk deuten, wie er will, Hitler und seine Gefolgsleute waren offenbar von der Existenz einer solchen Gefahr überzeugt und sprachen oft auch von einem Kampf auf Leben und Tod.
Jürgen Graf, immerhin ein Muttersprachler und vielfach als Übersetzer für Mattogno in Erscheinung getreten, geht erstaunlicherweise ganz ähnlich vor.
Im heutigen Sprachgebrauch heisst "ausrotten", wie das russische Aequivalent "istrebit", ganz klar "töten, physisch liquidieren", aber früher konnte es eine weniger brutale Bedeutung haben, nämlich "entmachten". Etymologisch bedeutet das Wort "entwurzeln", wie das russische "iskorenit". In Mein Kampf schrieb Hitler über die Lage des Deutschtums in der Donaumonarchie:
"Ungeheuer waren die Lasten, die man dem deutschen Volk zumutete, ungeheuer seine Opfer an Steuern und Blut, und dennoch musset jeder nicht gänzlich Blinde erkennen, dass dies alles umsonst sein würde. Was uns dabei am meisten schmerzte, war die Tatsache, dass das ganze System moralisch gedeckt wurde durch das Bündnis mit Deutschland, womit der langsamen Ausrottung des Deutschtums in der alten Monarchie auch noch gewissermassen von Deutschland aus selber die Sanktion erteilt wurde."
Wenn Hitler schrieb, dem Deutschtum habe in der Habsburger Monarchie die "Ausrottung" gedroht, meinte er damit ganz gewiss nicht, dass der alte Kaiser Franz Josef plante, die zehn Millionen Deutschösterreicher allesamt zu vergasen oder zu erschiessen (...)
An dieser Stelle ist Graf ein Bezugsfehler unterlaufen. Hitler schreibt über die Ausrottung des Deutschtums und nicht des deutschen Volkes. Dies kann man durchaus auf einer rein immateriellen Ebene verstehen. Man kann beispielsweise auch einen Irrtum ausrotten, (besser: ausräumen), woran derjenige, der ihm erlegen war, nicht unbedingt stirbt.
Der richtige Bezug ist dieser: Wenn ein Irrtum ausgerottet wird, ist er nicht mehr da. Wenn das Deutschtum ausgerottet wird, existiert es nicht mehr. Wenn die Deutschen ausgerottet werden, dann leben sie nicht mehr. Wenn die Juden ausgerottet werden, dann werden sie ermordet. "Ausrotten" bedeutet immer und ausschließlich, irgendetwas zu vernichten. Geht es um eine Idee, kann der Träger der Idee überleben. Geht es um Menschen, dann sind sie tot.
Selbst in der ursprünglichsten Bedeutung, die sich auf das "Ausroden" von Bäumen bezieht, stirbt der betroffene Baum.
Die mitunter vorgetragene Behauptung, die Bedeutung des Begriffs "ausrotten" habe sich verändert, trifft offenbar nicht zu. Die Nazis haben den Begriff so verwendet, wie wir ihn heute verstehen.
Schon das Grimmsche Wörterbuch von 1854 nennt einerseits Beispiele für "ausrotten", die "bildlich sehr oft in der bibel" vorkommen, stellt andererseits aber, ebenfalls mit einem Bibelzitat, heraus, dass auch das Ausrotten im Sinne von "ausroden" so viel wie "töten" bedeutet: "laszt uns den bawm [baum] aus dem lande der lebendigen ausrotten. Jer. 11, 19" (vgl. Grimmsches Wörterbuch, 1854).
Adelungs Wörterbuch von 1793 zeigt, dass mit dem Ausrotten von Lebewesen auch damals schon nichts anderes als Töten gemeint war. Interessanterweise wird gerade dies als die übertragene Bedeutung definiert (vgl. Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, Leipzig, 1793).
Hier erscheint auch ein Verweis auf das englische "root out", das die "Revisionisten" im Sinne von "entwurzeln" gern allzu wörtlich nehmen, ohne den Kontext zu beachten.
Die für Pflanzen durchaus richtige Übersetzung "root out" im Sinne von "entwurzeln" ziehen auffallend häufig amerikanische Muttersprachler heran und wenden sie - durchaus falsch - auf Menschen an.
Auch Goebbels ließ keinen Zweifel daran, wie zu seiner Zeit das Wort "ausrotten" in Bezug auf die Juden zu verstehen war:
Die Juden sind die Läuse der zivilisierten Menschheit. Man muß sie irgendwie ausrotten ...
Ich glaube nicht, dass Goebbels hier daran dachte, den Läusen (oder den Juden) faschistische Institutionen zu erläutern und ihnen wissenschaftliche Kenntnisse zu vermitteln.
Jürgen Graf hat durchaus recht damit, dass "ausrotten" etymologisch auf Begriffe wie "ausroden" - entwurzeln - zurückgeht. Er hat aber ganz sicher nicht recht damit, dass "ausrotten" damals in einem vergleichsweise harmlosen Sinn auf Menschen bezogen wurde.
In dem Pamphlet "Polnische Blutschuld" (ca. 1940) ist einerseits die Rede von Vertreibungen und Verschleppungen Deutscher in Polen in Zusammenhang mit dem "Bromberger Blutsonntag".
Andererseits taucht dort auch der Begriff "ausrotten" auf, und zur Verdeutlichung wird der Text durch ein Foto von Leichen ergänzt.
Aus einer Äußerung Himmlers geht zudem hervor, dass die Nazis den Kampf gegen das Judentum und den Bolschewismus - der ja dem Judentum zugerechnet wurde - buchstäblich als Kampf ums nackte Überleben aufgefasst haben:
Solange es Menschen auf der Erde gibt, wird der Kampf zwischen Menschen und Untermenschen geschichtliche Regel sein, gehört dieser vom Juden geführte Kampf gegen die Völker, soweit wir zurückblicken können, zum natürlichen Ablauf des Lebens auf unserem Planeten. Man kann beruhigt zu der Überzeugung kommen, daß dieses Ringen auf Leben und Tod wohl genauso Naturgesetz ist wie der Kampf des Pestbazillus gegen den gesunden Körper.
(...)
Die Verkörperung dieses Vernichtungswillens heißt heute Bolschewismus! Aber dieser Bolschewismus ist keine Zeiterscheinung. Er ist kein Produkt unserer Tage! Er ist auch keine Neuheit im Rahmen der Menschheitsgeschichte. Sondern er ist so alt wie der Jude selbst.
Wie man sieht, hat sich die Bedeutung "ausrotten = töten" seit mehreren Jahrhunderten nicht verändert, und man könnte fast sagen: Genauso lange wärmen die "Revisionisten" dieses alte Märchen immer wieder auf.
Einige Diskussionen mit vornehmlich englischsprachigen Teilnehmern zu diesem Thema sind im Nizkor-Archiv dokumentiert.