Karl "Mordechai" Marx
Über die Herstellung antisemitischer Feindbilder
Wenn Rechtsextremisten irgendjemanden als Übeltäter oder Verbrecher darstellen, folgt häufig auf dem Fuße der Hinweis, der Betreffende sei Jude.
Manchmal ersetzt der Hinweis auf die Religionszugehörigkeit eines Menschen sogar vollständig die eingehende Auseinandersetzung mit dem, was dieser Mensch tatsächlich oder angeblich getan hat.
Dem nationalsozialistischen Weltbild entsprechend, gilt die Kombination "Jude und Kommunist" oder "Jude und Sozialist" als besonders schlimm. In Bezug auf Karl Marx hört sich das beispielsweise folgendermaßen an:
"Karl Marx" hiess in Wirklichkeit Moses Mordecai Marx-Levi ...
In dieser oder ähnlicher Form verbreitete ein Teilnehmer in der Diskussionsgruppe de.soc.politik.misc mehrfach die Behauptung, Karl Marx sei Jude gewesen. Als Beleg soll ein weiteres, älteres Zitat dienen:
Und Karl Marx (Moses Mordecai Marx Levi) war ja schließlich jüdisch.
Als Quelle nannte Herr Marzahn unter anderem die recht dubiose Publikation "Zeitenschrift". Wenn wir einen Blick in die "Neue deutsche Biographie" werfen, lesen wir jedoch folgendes:
Marx, Karl, Theoretiker des Sozialismus, * 5.5.1818 Trier, † 14.3.1883 London. (isr., seit 1824 ev.)
V Hirsch (seit 1814 Heinrich) Mordechai (seit 1808 Marx, 1777-1838), Justizrat, Rechtsanwalt in T., S des Rabbiners Meir Halevi gen. Marx Levy (ca. 1743-1804) (...)
Nicht Karl Marx hieß "Mordechai Levi", sondern der Vater hieß "Mordechai", und der Großvater hieß "Halevi" und wurde "Marx Levy" genannt. Ab 1808 hat der Vater jedoch den Namen "Marx" getragen, ab 1814 den Vornamen "Heinrich".
Die Rechtsextremisten, die nach dem Vorbild der Nazi-Propaganda zwischen Marxismus, Judentum und Kommunismus/Sozialismus eine Verbindung knüpfen wollen, übertragen einfach die Namen von Vater und Großvater auf den Sohn bzw. Enkelsohn, als wären es Karl Marx' Namen gewesen. Karl Marx wurde aber 1818 als Sohn des Heinrich Marx geboren und hat von Geburt an dessen Familiennamen getragen.
Als kleiner Junge, ungefähr mit fünf oder sechs Jahren, ist Karl Marx getauft worden. Bis zu diesem Zeitpunkt hätte er als Sohn einer jüdischen Mutter noch als Jude gelten können, danach nicht mehr. Daher finden wir in der Biographie auch die Angabe: (isr., seit 1824 ev.).
Aus Karl Marx' Schriften wissen wir, dass er von Religion ohnehin nicht viel gehalten hat; aber wenn man schon unbedingt die Konfession zum Thema machen will, dann müsste man viel eher sagen: Karl Marx war während des weitaus größten Teils seines Lebens Protestant.
Der Hinweis, Karl Marx sei Jude gewesen, wird nur dann sinnvoll, wenn man sich an die nationalsozialistische Rassenlehre anlehnt und sich die im Dritten Reich verbreitete Überzeugung zu eigen macht, das Jüdische sei derart dominierend und prägend, dass es sich auch durch Beitritt zu einer anderen Religionsgemeinschaft nicht aufheben ließe.
Es trifft zwar zu, dass Karl Marx aus einer alten Rabbinerfamilie stammt, doch in der bereits zitierten Biographie erfahren wir, dass in Marx' Elternhaus auf religiöse Erziehung kein großer Wert gelegt wurde. Marx' Vater ist sogar aus der jüdischen Glaubensgemeinschaft ausgetreten:
Obwohl M. und seine Geschwister erst 1824 getauft wurden, dürfte auch vorher eine Unterweisung in der jüdischen Religion im Hause Marx nicht stattgefunden haben. M.s Vater, der 1816 oder 1817 - wohl um in seiner anwaltlichen Tätigkeit weniger behindert zu sein - zum Protestantismus übergetreten war, vertrat einen aufgeklärten Deismus; offensichtlich hat es ihn keine Überwindung gekostet, seinen Glauben zu wechseln. Nach seiner politischen Überzeugung war Heinrich Marx liberal, ohne deshalb gegen die preuß. Monarchie Stellung zu beziehen.
Der Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft wird aber von Rechtsextremisten zu einem Manöver uminterpretiert, das der Verschleierung der wahren Absichten gedient hätte:
Dass dieser sich als "Kuenstler" dann nur Karl Marx nannte und seinen Familiennamen Levi wegliess, das ist wiederum ganz typisch fuer die Anagramm-Form "veil" von "Levi", also: Verschleiern, verhuellen. Denn zuviele haetten ja sonst bemerken koennen, dass sie da als Sozialisten mit eigentlich antireligioesem Bewusstsein einer uralten Religion und dem Stamm Levi nachlaufen.
Man hört hier deutlich die bereits erwähnte rassistische Ideologie der Nationalsozialisten heraus: Jude bleibt Jude, auch wenn er getauft ist; und wenn er sich taufen lässt, dann tut er es sowieso nicht aus echter Überzeugung, sondern aus finsteren Motiven, um seine verbrecherischen Ziele zu verschleiern.
Die Vermutung, dass es bei angesichts einer derartig abenteuerlichen Argumentationsweise letzten Endes doch nur um die ganz alltägliche, rechtsextremistische Hetze gegen Juden geht, gewinnt durch eine Bemerkung Norbert Marzahns über Friedrich Engels weitere Substanz:
Friedrich Engels wird noch oft in Verbindung mit Marx gesehen. Zu ihm fand ich bislang keinen familiären religiösen Hintergrund mit Rang, was nicht heißt, daß es diesen nicht auch gegeben haben kann.
Anders ausgedrückt: Herr Marzahn hat gezielt, aber bisher erfolglos versucht, jüdische Engels-Vorfahren zu finden.
Über Engels' pietistischen Vater verliert Herr Marzahn kein Wort, während er andererseits bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit die unwahre Behauptung verbreitet, Marx hätte "in Wirklichkeit" die Namen seiner jüdischen Vorfahren getragen.
Wenn Herr Marzahn über Leute spricht, die er für Verbrecher hält, dann kommen katholische oder protestantische (oder in diesem Fall pietistische) Verbrecher garantiert nicht vor. Von der Religion ist ausschließlich dort die Rede, wo Herr Marzahn "Nazijuden" zu wittern glaubt.