Ivan Denes: Gott am Wannsee
Herr Marzahn liest zwischen den Zeilen
Anmerkung:
Textstellen aus Ivan Denes, Gott am Wannsee, auch in Norbert Marzahns Zitierweise, sind hervorgehoben.
Es kommt immer wieder vor, dass Holocaust-Leugner sich hinter echten oder vermeintlichen Autoritäten (am liebsten Juden) verstecken und scheinheilig sagen: Wenn die schon so etwas schreiben, dann dürfen wir das doch wohl auch, oder?
Allerdings kommen die meisten dieser Vorlagen durch Methoden zustande, die - wären Menschen und keine Bücher betroffen - irgendwo zwischen fahrlässiger Körperverletzung und Anwendung des Dritten Grades angesiedelt werden müssten. Wenn ein "Revisionist" ein Buch benutzt, dann fliegen die Fetzen. Von dem, was die Autoren ursprünglich gemeint haben und sagen wollten, ist nach dieser "Aus-Lese" nicht mehr viel übrig.
Herr Marzahn ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Vor einiger Zeit ist das Buch Gott am Wannsee von Ivan Denes seinem Forscherdrang zum Opfer gefallen. Herr Marzahn erwähnt Denes' Werk in seinem Text WAL an einer Stelle, wo er sich bemüht, den anderen Holocaust-Leugnern Mut zu machen. Man könne, schreibt Herr Marzahn dort, ohne weiteres die sechs Millionen jüdischen Opfer der Nazis bestreiten, denn das hätten schließlich auch einige Autoren gemacht, deren Bücher nach wie vor frei verkäuflich wären:
Um aber zum Thema des Kapitels zurückzukommen und weiter nachzuweisen, daß Deutschland nicht das Bezweifeln der Kultzahl verbietet, zitiere ich Herrn Denes zu diesem Kult von Seite 96, denn es ist äußerst wichtig geworden, die Wahrheitsbemühungen insbesondere von Neojuden selbst herauszustellen:
"In den späteren Jahren setzte sich die Zahl von sechs Millionen Opfern im öffentlichen Bewußtsein fest. Aber Abraham Levi, die ebenso runde wie redliche Persönlichkeit, nahm sich die letzte Vorkriegsausgabe des Jüdischen Lexikons vor, listete alle Gebiete auf, die auch nur für kürzeste Zeit in den Griff des Tausendjährigen Reiches gelangt waren, addierte dann die für all diese Gebiete angeführten demographischen Angaben des Lexikons, multiplizierte die Summe mit optimistischsten Wachstumsrate der jüdischen Bevölkerung in den Jahren zwischen der letzten Lexikon-Ausgabe und dem Kriegsende, aber die amtlichen und seine Zahlen wollten und wollten nicht übereinstimmen.."
Dieses Zitat aus Denes' Buch ist auf den ersten Blick verblüffend. Auf den zweiten Blick entpuppt es sich freilich als literarischer Kunstgriff, mit dem der Autor genau das Gegenteil von dem erreichen will, was Herr Marzahn ihm unterschiebt.
Um diese Bemerkung richtig einzuordnen, müssen wir einige Schritte zurückgehen und uns von Ivan Denes selbst erklären lassen, wie er sein Buch verstanden wissen will. Gleich im ersten Satz des Buches wird deutlich, wohin die Reise geht, auf die der Autor den Leser mitnimmt:
Zur Vesperzeit am siebten Tag vor der Jahrtausendwende, in der Dämmerung des heiligen Abends Anno 1999, zu dieser für die christliche Zeitrechnung eigenartig runden Stunde, fand ein Ereignis statt, dem, nüchtern geurteilt, literarisch nur die schöpferische Kraft eines weltgeschichtlich versierten und in der Konfliktgestaltung genialen Dramatikers gerecht werden könnte: Jahwe Sabbaoth, El Elohim, der einst so rachsüchtige Wüstengott des Alten Bundes, den wir in der Furcht des Gebotes und des Gesetzes eigentlich nur als "Haschem", "Der Name", bezeichnen dürfen, der Herr des Himmels und der Erden, offenbarte sich am Ufer des Wannsee, am Rande der großen deutschen Stadt Berlin.
Das Buch ist 1993 erschienen, doch es beginnt mit einer in Vergangenheitsform geschilderten Erscheinung Gottes am Wannsee im Jahre 1999. Es handelt sich offensichtlich um ein fiktives Werk über fiktive Personen. Auch der oben zitierte Abraham Levi ist eine solche fiktive Figur. Auf dem Vorsatzblatt gibt der Autor den ersten Hinweis, wie sein Buch zu verstehen ist:
Eine zeitgemäße Legende, aus dem Abstrakten ins Deutsche übersetzt vom muttersprachenlosen Autor selbst.
Auf Seite 10 erklärt Ivan Denes dann, dass er unter anderem die Geschichte des (fiktiven) Adam Levi aufschreibt. Der Autor versteht sich dabei aber
selbst in den lebendigsten Stunden der Niederschrift nur als der Verfasser einer vorwegnehmenden Chronik.
Dabei handelt es sich offenbar um eine neue Sparte der Literatur, und so sieht sich der Autor genötigt, dem Leser zu erklären, was es mit seiner vorwegnehmenden Chronik auf sich hat:
Der vorwegnehmende Zug seiner Chronik, also das Schildern zukünftiger Ereignisse in ihrer zeitlichen Folge, niedergeschrieben viele Jahre vor ihrem tatsächlichen Ablauf, soll den der Naturgesetze kundigen Leser nicht verschrecken, denn er schließt sich einer geheiligten Tradition an: sind denn nicht die Zeiten des Zeitwortes in der Originalfassung des Alten Bundes oft gegensätzlich verwendet, Geschehenes als Kommendes, Vergangenes als Zukünftiges geschildert? Und wenn dort grammatikalisch gesehen Zukünftiges tatsächlich Geschehenes schildert, wenn dort Vergangenes im Futur beschrieben wird, sollte nicht das Umgekehrte, also die Schilderung des noch zu Geschehenden als Geschehenes, wie eine Nachfolge und eine Huldigung der biblischen Ausdrucksweise verstanden werden?
Eine vorwegnehmende Chronik also.
Herr Marzahn hat anscheinend nicht viel Sinn für die feine Ironie dieser Zeilen, und er hat die Absichten des Autors gründlich missverstanden.
Dass dieses Missverständnis kein Versehen ist, zeigt sich, wenn wir zu der Textstelle auf Seite 96 kommen, die oben in Herrn Marzahns Wiedergabe bereits zitiert wurde. Herr Marzahn unterschlägt dort den Kontext, in den Ivan Denes die Äußerung des Abraham Levi setzt. Vor dem erwähnten Zitat lesen wir nämlich:
(...) wurden Vettern und Cousinen, Onkel und Tanten ersten, zweiten und dritten Grades von Wirbel und Strudel erfaßt und mitgerissen, sie verschwanden vorzeitig und endgültig hinter den Lagertoren, in den Öfen, in den Massengräbern oder in der Zeitgeschichte schlechthin, spurlos. Abraham Levi zählte einmal einhundertdreizehn zusammen.
Dann folgt das bereits erwähnte Zitat, und direkt im Anschluss fährt der Autor fort:
Gibt es überhaupt eine geltende Ethik oder gibt es Ihn überhaupt, so ist der Tod tausender Unschuldiger oder einer Million Unschuldiger gleichwertig. Das Massenhafte im Unterschied erschreckt durch seine biologische oder soziale Dimension, nicht durch unterschiedliche ethische Qualität
(...)
Als Ausdruck dieser Überzeugung und der Unfähigkeit, die moralischen Dimensionen der Shoa literarisch, also künstlerisch-subjektiv zu erfassen, sollen auch die Blätter, auf denen dieser Gedanke zu Papier gebracht wird, ohne Seitenzahlangabe in die vorwegnehmende Chronik eingefügt werden. Und ein Blatt mit der Trauerfarbe Weiß hinzu.
Was der Autor Abraham Levi in den Mund legt, wird durch die Anmerkungen des Autors selbst sofort wieder konterkariert. Man kann sogar so weit gehen zu sagen, dass der Autor den fiktiven Abraham Levi die Zweifel am Holocaust nur deshalb formulieren lässt, weil er gegen eine ganz bestimmte Sorte von engstirnigen Berufszweiflern Stellung beziehen will, die ihr "Wissen" erwerben, indem sie die Dinge an den falschen Stellen wörtlich nehmen, statt die Zusammenhänge zu betrachten.
Man könnte beinahe meinen, Ivan Denes hätte über Leute wie Herrn Marzahn gesprochen - aber auch nur beinahe.
Denn der Autor zielt auf jene, die zu beschränkt sind, um über den Tellerrand zu schauen. Das gilt aber nicht für Herrn Marzahn. Herr Marzahn hat die Absichten des Autors nicht aus unverschuldeter Kurzsichtigkeit falsch verstanden, sondern vorsätzlich verfälschend dargestellt.
Als Beleg dafür soll ein weiteres Beispiel dienen. Herr Marzahn zitiert Denes wie folgt:
"... nie zuvor hat irgendeiner der Vaeter versucht, den levitischen Eifer ...." (S. 73)
Herr Marzahn wollte mit diesem Zitat den Eindruck erwecken, seine Einschätzung würde von Denes bestätigt: Leviten (das Marzahnsche Codewort für Juden) wären hemmungslose Verbrecher und durch nichts aufzuhalten.
Im Zusammenhang betrachtet, stellt sich die Situation aber ganz anders dar. Der junge Ascher spricht mit seinem Vater und lässt ihn nicht ausreden, sondern unterbricht ihn respektlos und frech. Aron, der Vater, verliert die Fassung und gibt seinem Sohn eine schallende Ohrfeige. Das war eine höchst ungewöhnliche Tat, denn:
Nie zuvor, soweit das kollektive Gedächtnis der Levi zurückreichte, war auch nur ein Finger gegen ein Kind der Familie gehoben worden, geschweige denn gegen einen Jüngling, der gesetzesgemäß wirklich seit zwei Jahren schon mündig war, nie zuvor hat irgendeiner der Väter versucht, den levitischen Eifer im Wort durch eine Pädagogik der Gewalt zu ersetzen, den Eifer des Sohnes mit Schlägen in die gewünschte Bahn zu lenken, und daher ist es geradezu unmöglich, den wirklichen, den wahren Leidenden des Augenblicks zu ermitteln: war es der Junge, der Geohrfeigte, der Geschlagene, oder war es der Vater, der zugeschlagen hatte und durch das Zuschlagen sein Scheitern bekannte, der Versager also ...
Die von Herrn Marzahn entnommene Stelle habe ich noch einmal besonders hervorgehoben. Gemeint ist hier der levitische Eifer im Wort. Sinngemäß sagt der Autor sogar: Eine "Pädagogik der Gewalt" sei den Levi völlig fremd, so etwas habe es noch nie gegeben. Diese Textstelle ist ganz sicher nicht geeignet, um die Levi als bösartige Verbrecher hinzustellen, wie Herr Marzahn es gern tut - und genau deshalb hat Herr Marzahn das Zitat an genau dieser Stelle abgeschnitten.
Herr Marzahn hat sich offensichtlich sehr bemüht, das zu tun, was er selbst empfohlen hat:
Aber lest sorgfaeltig und zwischen den Zeilen.
Und das hat er dann so gründlich getan, dass man von dem, was der Autor tatsächlich gesagt hat, nicht mehr viel erkennen kann.
Herr Marzahn verschweigt, dass es sich um ein fiktives Werk mit fiktiven Figuren handelt; Herr Marzahn verschweigt, dass es stellenweise nicht der Autor ist, der spricht, sondern eine seiner fiktiven Figuren; Herr Marzahn verschweigt, dass der Autor die Äußerungen der fiktiven Figur nur benutzt, um seine eigenen, völlig konträren Überzeugungen deutlicher herausarbeiten zu können; Herr Marzahn verfälscht beim Zitieren die Aussagen des Buches; Herr Marzahn benutzt die verfälschten Aussagen als Beleg, um zu suggerieren, dass Zweifel am Holocaust berechtigt wären, obwohl der Autor genau das Gegenteil zum Ausdruck bringt; Herr Marzahn verfälscht ein Zitat, um Leviten (Juden) als fanatische Gewalttäter darzustellen.
Man kann das natürlich auch kürzer formulieren: Herr Marzahn hat "revisionistische Wahrheitssuche" betrieben.
"Gott am Wannsee" von Ivan Denes ist ein lesenswertes, interessantes Buch. Literarische Neanderthaler wie Herrn Marzahn hat es nicht verdient.
Eine Weile später wurde dieses Thema noch einmal aufgegriffen. Ich schrieb eine Email an Herrn Denes, und er hat mir erlaubt, den Briefwechsel zu veröffentlichen. Seine Stellungnahme zu Marzahns Holocaust-Leugnerei war unmissverständlich und klar.