Ein französischer General muss sterben
"Als Zeitpunkt ist Dämmerung vorgesehen ..."
Ende 1944 befanden sich im Lager Königstein 75 französische Generäle in deutscher Kriegsgefangenschaft. Das Lager, schrieb Geheimrat Wagner vom Auswärtigen Amt, werde aber zu anderen Zwecken gebraucht.
Man wird jetzt mit der Verlagerung in der Form beginnen, dass als erster Schub 5-6 französische Generäle, jeder in einem besonderen Auto, an einen anderen Ort gebracht werden.
Zum Transport sollten "besonders ausgesuchte Leute" eingeteilt werden, denn was während der Fahrt geschehen sollte, war höchst ungewöhnlich:
Auf der Fahrt wird der Wagen des Generals Deboisse eine Panne haben, um ihn von den anderen abzusondern. Bei dieser Gelegenheit soll der General durch gezielten Rückenschuss "auf der Flucht" erschossen werden. Als Zeitpunkt ist Dämmerung vorgesehen.
Tatsächlich wurde letzten Endes nicht General Deboisse, sondern General Mesny ausgewählt. Die Leiche sollte rasch verbrannt werden, um etwaige Nachforschungen zu erschweren. Anschließend sollte, so schreibt Wagner, eine Pressenotiz herausgegeben werden. Man hatte nämlich keineswegs vor, den Mord geheim zu halten. Vielmehr sollte die Aktion im Sinne der Nazis genutzt werden, wie man den Anmerkungen zur Pressenotiz entnehmen kann:
Es ist auf jeden Fall auffällig, dass überhaupt die Tatsache eines Fluchtversuches eines französischen Offiziers an die Presse gebracht wird. Damit ist jedoch sichergestellt, dass diese Maßnahme, die als Repressalie gedacht ist, auch in die Öffentlichkeit kommt.
Mitte Dezember 1944 hat Geheimrat Wagner einen Zwischenbericht über den Verlauf der Planung verfasst. Mit den Einzelheiten war SS-Oberführer Panzinger betraut, der bereits mitgeteilt hatte,
dass die Vorbereitungen wegen des französischen Generals so weit abgeschlossen wären, dass dem Reichsführer-SS ein Bericht über die beabsichtigte Durchführung dieser Tage vorgelegt würde.
Allerdings war die Planung des Mordes inzwischen etwas modifiziert bzw. ergänzt worden. Neben der Möglichkeit, den General auf der Flucht zu erschießen, nennt Wagner nun als weitere Möglichkeit:
2. durch Vergiftung mit Kohlenoxydgas:
Hierfür ist ein besonders gebauter Wagen erforderlich, der bereits fertig konstruiert ist. Der General sitzt allein auf den Rücksitzen (...)
Etwaige Fugen sind besonders abgedichtet. Durch eine besonderere Apparatur, die vom Vordersitz bedient wird, wird geruchloses Kohlenoxydgas während der Fahrt in den Innenraum eingelassen. Ein paar Atemzüge genügen, um ihn sicher zu töten. (...)
Es wird festgestellt, dass durch Undichtigkeiten der Auspuffrohre Abgase aus dem Motor in das Innere gedrungen sind, die seinen Tod unbemerkt herbeigeführt haben.
Am 30. Dezember 1944 hat sich dann der ebenfalls beteiligte Chef der Sicherheitspolizei und des SD schriftlich an den Reichsführer-SS Heinrich Himmler gewandt. Die erforderlichen Besprechungen hätten stattgefunden, und man habe sich auf folgenden Vorschlag geeinigt:
1) Im Zuge einer Verlegung von 5 Leuten in drei Kraftwagen mit Wehrmachtkennzeichen tritt der Fluchtfall ein, als der letzte Wagen eine Panne hat, oder
2) tritt Kohlenoxyd durch Bedienung vom Führersitz aus in den abgeschlossenen Fond des Wagens. Die Apparatur kann mit einfachsten Mitteln angebracht und sofort wieder entfernt werden. Ein entsprechender Wagen konnte nach erheblichen Schwierigkeiten jetzt beschafft werden.
3) Andere Möglichkeiten der Vergiftung durch Speise oder Trank sind geprüft, aber nach mehreren Versuchen als zu unsicher wieder verworfen worden.
(...)
Transportführer und Fahrer werden vom RSHA gestellt und treten in Wehrmachtsuniform mit zugeteiltem Soldbuch auf.
Der letzte Satz - die Bereitstellung der Mitarbeiter, die den Mord ausführen sollten - ist keine bloße Mitteilung, sondern das Ergebnis einer Entscheidung des Briefschreibers. Die Sicherheitspolizei und der SD waren Abteilungen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), und der Mann, der diese Entscheidung getroffen und die Leute eingeteilt hat, war der Leiter des RSHA persönlich.
Der Brief trägt die Unterschrift:
Heil Hitler!
Ihr gehorsamer
gez.: Dr. Kaltenbrunner