Viktor Suworow

Der Eisbrecher

Der Eisbrecher, Titelbild

Es konnte schon häufig gezeigt werden, dass die "Revisionisten" das jeweils vorliegende Material mit sehr unterschiedlichen Maßstäben messen. Behauptungen, die geeignet scheinen, Deutschland zu entlasten und den Gegnern des Naziregimes die Schuld am Krieg in die Schuhe zu schieben, werden ungeprüft und beleglos akzeptiert. Die Ansprüche an die Beweise für den Judenmord werden dagegen unerreichbar hoch geschraubt.

Auf diese Weise verfahren die Holocaust-Leugner auch mit Suworows Buch Der Eisbrecher - Hitler in Stalins Kalkül, das in ihrer Lektüre mittlerweile einen festen Platz einnimmt. Da Suworows Ausführungen gut in ihr Weltbild zu passen scheinen, übernehmen die Rechtsextremisten völlig unkritisch die nicht belegten Behauptungen dieses Autors. Schreibt dagegen jemand über die Gaskammern, dann können die Prüfungen gar nicht streng genug sein.

Glaubt man den Hitler-Apologeten, dann hat Suworow (engl. meist "Suvorov" geschrieben) in Der Eisbrecher den Nachweis geführt, dass Hitler einem sowjetischen Angriff nur knapp zuvorgekommen sei. Stalin habe Angriffspläne entwickelt, einen Angriff gegen Deutschland vorbereitet und zu diesem Zweck seine Truppen in der Nähe der Grenze aufmarschieren lassen.

Ein Beleg für diese Angriffspläne sei die Zahl der Fallschirmspringer, die Stalin ausbilden ließ - denn wozu, wenn nicht für einen Angriff, brauche man eine große Zahl von Fallschirmspringern? So hat Suworow diesen Fallschirmspringern denn auch ein ganzes Kapitel gewidmet, das er mit den folgenden Bemerkungen einleitet:

Luftlandetruppen sind für Angriffsoperationen bestimmt. Das ist ein Axiom, das keines Beweises bedarf.

Suworow, Der Eisbrecher, S. 129

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges habe die Sowjetunion "über eine Million ausgebildeter Fallschirmspringer" gehabt und damit "ungefähr zweihundertmal mehr [...] als alle Länder der Welt einschließlich Deutschlands" (Hervorh. Suworow).

Fünfzehn Seiten seines Buchs widmet Suworow ausschließlich den hundertfach überlegenen sowjetischen Luftlandetruppen, und er reichert seine Ausführungen mit vielen Detailbeschreibungen an.

Nur eines fehlt.

Suworow hat für seine detailreichen Ausführungen keine einzige Quelle. Im ganzen Kapitel über die Fallschirmspringer gibt es nur eine einzige (dazu noch sehr ungenaue) Quellenangabe, und die bezieht sich auf eine Marginalie, die mit den Luftlandetruppen nichts zu tun hat; es geht dort um einen Deutschen, der in einem russischen Regiment gedient und mit einem russischen Offzier in engem persönlichem Kontakt gestanden habe.

Man muss sich fragen, warum Suworow einen Nebenaspekt mit einer Quelle belegt, den wirklich wichtigen Teil jedoch als nicht belegte und nicht überprüfbare Behauptung in den Raum stellt, zumal er im Vorwort seines Buches ausdrücklich schreibt:

Meine Hauptquelle sind offen zugängliche sowjetische Publikationen.

V. Suworow, Der Eisbrecher, S. 14.

Warum nennt Suworow nicht die offen zugänglichen Quellen für die große Zahl von Fallschirmspringern, und warum nennt er ausgerechnet dort eine Quelle, wo es für seine Argumentation völlig belanglos ist?

Mindestens genauso gefährlich wie die nicht belegten Fallschirmspringer waren offenbar die sowjetischen Lastensegler, die im Gleitflug Material hinter die feindlichen Linien bringen konnten. Besonders praktisch ist es natürlich, wenn man diese Segelflieger wieder einsammeln und mehrfach benutzen kann:

P. Gorochowski entwickelte ein aufblasbares Segelflugzeug aus Gummi. Nach dem Absetzen ihrer Ladung im Rücken des Gegners konnten mehrere dieser Segelflugzeuge in ein einziges Transportflugzeug geladen und auf eigenes Gebiet für einen erneuten Einsatz zurückbefördert werden.

V. Suworow, Der Eisbrecher, S. 139

Aufblasbare Segelflugzeuge aus Gummi? Man glaubt es kaum, aber so ist es tatsächlich in Suworows Buch nachzulesen.

Eine weitere Variante der sowjetischen Angriffspläne habe darin bestanden, Panzer flugfähig zu machen, also mit Leitwerken und Tragflächen usw. zu versehen, damit die Panzerfahrzeuge im Gleitflug hinter die feindlichen Linien gelangen konnten.

Und wie wurden diese Wunderwerke der Technik im Flug gesteuert? Auch dafür gibt es eine verblüffend einfache Lösung:

Die Seilzüge von Höhen- und Seitenruder wurden an der Panzerkanone befestigt. Die Panzerbesatzung steuerte den Flug von innen durch Drehung des Turm und Änderung des Anstellwinkels seines Kanonenrohrs.

V. Suworow, Der Eisbrecher, S. 139

Einige dieser seltsamen Fluggeräte bildet Suworow in den beiden Bildteilen seines Buches ab, und wenn man Glück hat, findet man in der Legende sogar eine Quellenangabe.

Der Eisbrecher, Abb. 15

Suworows Bildunterschrift unter Abbildung 15, allem Anschein nach ohnehin nur eine Zeichnung, lautet: "Der flugfähige Panzer KT ist der A-40 (Antonow - 1940) in der Luft, geflogen von dem Piloten S. Anochin. Hitler hatte durch seine Invasion dergleichen Experimente überflüssig gemacht. (Abb. aus Steven J. Zaloga and James Grandsen, Soviet Tanks and Combat Vehicles of World War Two. London: Arms and Armor Press 1984)"

Für Suworow scheint es erwiesen, dass die Sowjets für den Bau dieser Offensivwaffe konkrete Pläne entwickelt haben, deren Verwirklichung nur durch Hitlers Angriff ("Präventivkrieg") zunichte gemacht worden sei. Wer bei Zaloga/Grandsen nachschlägt, gewinnt allerdings einen etwas anderen Eindruck.

The A-40T, seen here as the designer's model, was a bizarre attempt to fly in light tanks to support airborne formations. It proved impracticable because the tank suspension could not stand up to the high speeds at take-off or landing.

[Der A-40T, hier als Modell abgebildet, war ein bizarrer Versuch, leichte Panzer zur Unterstützung von Luftkampfverbänden einzufliegen. Dies erwies sich als nicht durchführbar, weil das Fahrwerk des Panzers die hohen Geschwindigkeiten bei Start oder Landung nicht aushalten konnte.]

Steven J. Zaloga and James Grandsen
Soviet Tanks and Combat Vehicles of World War Two

Es handelt sich hier also nicht um einen flugfähigen Panzer, sondern bestenfalls um ein Modell. Die Autoren schreiben: "Versuche mit einem Prototyp verliefen erfolglos [...] und das Projekt wurde aufgegeben."

Deshalb frage ich mich, wie Suworow auf die Idee kommt, dieses Modell - oder gar die Zeichnung eines Modells - wäre von einem Piloten namens Anochin geflogen worden. Im zitierten Buch wird der Pilot in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erwähnt, aber genau diese Stelle in genau diesem Buch gibt Suworow als Quelle für den Modellflieger an.

Und selbst wenn Anochin mit diesem Apparat geflogen ist, es dürfte nicht sehr lange gedauert haben, bis er zum Helden der Sowjetunion geworden ist, denn wie wir hörten, war diese Vorrichtung nicht brauchbar; es sei denn natürlich, Suworow hätte vertrauliche Informationen bekommen, dass Anochin die Zeichnung gefaltet und als Papierflieger benutzt hat, was eine mindestens genauso gefährliche Angriffswaffe abgibt wie die schon erwähnten aufblasbaren Segelflugzeuge.

Dabei ist dies noch einer der wenigen Fälle, in denen Suworow überhaupt eine überprüfbare Angabe macht. Unter dreißig Abbildungen und vier Landkarten gibt es insgesamt nur vier Quellenangaben. Die nicht überprüfbaren Bilder sind für den Beweis der Präventivkriegsthese ebenso wertlos wie die nicht überprüfbaren, beleglosen Behauptungen im Text.

Diese Beispiele und Anmerkungen machen deutlich, dass Suworow offenbar viel Phantasie, aber wenig handfestes historisches Material aufzubieten vermag. Seine Präventivkriegsthese ist nicht haltbar, denn er kann keine Fakten vorweisen, um sie zu untermauern. Entsprechend kritisch wird sein Schaffen denn auch von seriösen Historikern beurteilt. So schreibt beispielsweise Gerd Ueberschär in Die Auschwitzleugner:

Sowohl eine erneute Überprüfung des Wahrheitsgehaltes der NS-Propaganda vom angeblichen Präventivcharakter des deutschen Überfalls auf die UdSSR 1941 als auch eine nochmalige umfassende Bewertung des Hitlerschen Ostkriegsprogramms [...] haben mittlerweile die Unhaltbarkeit der Thesen von Ernst Topitsch, Joachim Hoffmann und Viktor Suvorov bestätigt.

B. Bailer-Galanda u.a.
Die Auschwitzleugner, S. 193f

Suworows Behauptung, Stalin habe einen Angriff geplant und Hitler sei ihm nur knapp zuvorgekommen, erfreut sich allerdings bei einer ganz bestimmten Klientel großer Beliebtheit:

Schon während des Krieges wurde diese Präventivkriegsthese in propagandistischer Absicht von deutscher Seite vorgebracht [...]

Boog u.a., Der Angriff auf die Sowjetunion

Es sind in erster Linie Holocaust-Leugner und ewiggestrige Hitler-Apologeten, die allen historischen Fakten zum Trotz heute noch an der Präventivkriegsthese festhalten.

Ein Beleg dafür ist die folgende Liste mit Autoren und Publikationen, in denen Suworows Präventivkriegsthese positiv aufgenommen wurde, ein weiterer ist in der Tatsache zu sehen, dass die amerikanische Ausgabe des Buchs ausgerechnet vom kalifornischen IHR vertrieben wurde.

Suworow wird u.a. erwähnt bei:

Siehe auch:

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